Wie würden Sie diese Frage beantworten? Wahrscheinlich mit „Aussprache“. Und dabei denken Sie wahrscheinlich hauptsächlich an die Lautbildung. Wie bildet man ein r? Oder ein ch wie in ich? Oder ä, ö, ü?
Natürlich kann ich zunächst phonologisch – phonetische Bereiche und Themen benennen. In der Artikulation geht es um die Lautbildung: Wo und wie werden die Laute der deutschen Sprache gebildet? Und wann? (Position in der Silbe). Neben Konsonanten und Vokalen spielen hier auch solche Themen wie Glottisschlag, Auslautverhärtung und die Länge und Kürze der Vokale eine Rolle.
Und dann gibt es den anderen großen Bereich, die prosodischen Merkmale bzw. die Intonation. In der Linguistik definieren viele nur den Tonhöhenverlauf über Äußerungen hinweg als Intonation. Ich schließe mich hier der weiter gefassten Definition an. Für mich bedeutet Intonation neben der Melodieführung/ Tonhöhenbewegung alles, was mit dem Rhythmus der Sprache zu tun hat: laute und leise, längere und kürzere Silben, Betonungen wie Wort- und Satzakzent im Deutschen, Pausen, das generelle Sprechtempo. Und die Klangfarbe der Stimme (rau, heiser, zu hoch oder tief, fröhlich, traurig…).
Aber werden diese Einteilungen, Aufzählungen dem wirklich gerecht, was Phonetik eigentlich im gesellschaftlichen Zusammenleben bedeutet?
Im Begleitband zum GER (auf Deutsch von 2020), zum Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen wurde die Einordnung im Sprachunterricht in 4 Ziel- und 4 Teilfertigkeiten aufgegeben, ursprünglich war die Phonetik eine der 4 Teilfertigkeiten. Das neue Modell benennt 4 Modi der Kommunikation: Rezeption, Produktion, Interaktion und Mediation. Mediation bedeutet u.a., dass Sprechende in Interaktion gemeinsam Bedeutung konstruieren (co-construction of meaning) und dabei ständig zwischen der individuellen und der sozialen Ebene hin- und herwechseln. Dabei geht es sehr viel um die Beziehungsebene zwischen den Sprechenden, die beziehungsrelevante Mediation, die sich z.B. in diplomatischem Geschick, einfühlsamem Sprechen, dem Zeigen von Empathie, dem Schaffen einer positiven Atmosphäre zeigt.
Klingt das nicht so, als wäre hier die Phonetik – und besonders der Teil der Intonation – von immenser Bedeutung?
Heißt es nicht: „Der Ton macht die Musik“?
Intonatorische Merkmale sind maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass wir Empathie etc. erkennen können. Im Sprachvergleich können sie sehr unterschiedlich sein und auch komplett falsch interpretiert werden! Wie zeigt man sprachlich – intonatorisch Kompetenz und Sicherheit? Was wirkt im Gegensatz dazu unsicher, sich selbst in Frage stellend?
An dieser Stelle kann man sich leicht vorstellen, was das alles – also die Phonetik – für die Integration in einer Gesellschaft bedeutet. „Falsche“ Tonhöhenverläufe, „falsche“ Betonungen oder auch ein falsches Register der Phonostilistik für die jeweilige Situation (man spricht im Modus des Vortrags in der Kneipe, man spricht im Kneipenmodus beim Vorstellungsgespräch) können zu Fehleinschätzungen, falschen Beurteilungen von Menschen führen – sowohl in der Arbeitswelt als auch privat.
Der GER benennt als eins der Schlüsselkonzepte für den Umgang mit prosodischen Merkmalen: die Fähigkeit, Betonung und Melodie einzusetzen und/ oder zu variieren, um eine spezielle Botschaft zu unterstreichen.
Auch hier kann man leicht verstehen, wie wichtig das Ankommen meiner Botschaften in allen gesellschaftlichen Bereichen ist. Letztendlich bedeutet das auch das Ankommen der sprechenden Person bei den anderen (in ihrer jeweiligen Rolle! Sei es als Teammitglied, Führungskraft, Nachbar/ Nachbarin …).
Die Hauptbetonungen in Sätzen, die so genannten Satzakzente, markieren die inhaltlich wichtigsten Wörter im Satz. Wenn Lernende in der Lage sind, Satzakzente wahrzunehmen, haben sie es mit dem Finden von Schlüsselwörtern für die Textrekonstruktion im Hör- und Leseverstehen viel leichter. Und für das Dekodieren, Erkennen von Wörtern in gehörten oder gelesenen Texten, brauchen sie natürlich auch eine Vertrautheit mit den Lauten und Buchstaben der Sprache.
Phonetik ist demnach nicht nur sehr wichtig für die sprachliche Produktion, sondern auch für die Rezeption, das Verstehen von Hör- und Lesetexten.
Sind Sie nun überzeugt davon, dass Phonetik im Unterricht viel mehr leisten sollte als nur das Erlernen von Lauten?
Möchten Sie nun gern wissen, wie ich das methodisch mache bzw. was die Methode Sandra Kroemer bedeutet?